Bubbles

SandspielzeugBRIEF AN DIE ELTERN

Liebe Eltern!

Mein Lieblingsautor Terry Pratchett spricht in einem seiner Bücher (Die Gelehrten der Scheibenwelt erschienen im Piper Verlag) über die Lügen für Kinder, die wir verbreiten, weil es uns selbst an Erklärungen mangelt, oder weil die ganze, ausführliche Erklärung zu kompliziert, zu lang, zu zeitaufwändig und wenig sinnvoll wäre. Deshalb versuchen wir mit groben, teilweise fahrlässigen, Vereinfachungen komplexe Zusammenhänge erklärbar zu machen. Dadurch ergeben sich große Lücken im so genannten Allgemeinwissen, die allerdings ohne weiteres Nachfragen als die Wahrheit weiterverkauft werden.

Manche Fragen, nämlich die wirklich großen Fragen (siehe auch Wolf Erlbruch: Die große Frage erschienen im Peter Hammer Verlag), müssten ohnehin ohne klare Antwort bleiben. Aber ein ich weiß es nicht scheint oft so viel schwerer als irgendeine selbst gebastelte Antwort, die den Fragenden, zumindest vorerst, ruhig stellt, vielleicht sogar zufrieden stellt. Dass wir, als Erwachsene, so Schritt für Schritt, nämlich Halbwahrheit um Halbwahrheit unsere Glaubwürdigkeit einbußen und sehr subjektive Wahrheiten als allgemein gültig darstellen, scheint im Eifer des alltäglichen Geschehens und Umgangs miteinander kein Problem zu sein. Es wird aber zunehmend zu einem, denn die Fragen werden ausgefeilter, die Antworten vielfältiger, die Lügen komplizierter. Mehr Bezugspersonen nehmen am Prozess der Wahrheitsfindung teil, neue Quellen, das Internet, Freunde, Lehrer und andere Erwachsene nehmen Einfluss.

Wie sich nun aus der Vielzahl der Meinungen seine eigene herausbilden? Vor allem wenn kaum einer um eine Antwort verlegen ist. Sollte dann nicht auch meine Meinung hieb und stichfest sein? Gibt es da noch Platz für offene Fragen oder werden Denkprozesse und das In-Frage-stellen durch Antworten erstickt? Haben Fehler Platz in diesen Denkmodellen? Ist die Suche nach Antworten nicht ein wesentlicher Teil des selbstständigen Denkens und Erwachsenwerdens? Muss jede Frage unbedingt eine Antwort haben? Gibt es Bereiche in denen unser Wissen begrenzt ist? Diese Frage kann eindeutig mit JA beantwortet werden. Mit jeder neuen Antwort taucht zumindest eine neue Frage auf, meist sind es eher mehrere Fragen.

Mir ist es ein Anliegen genau diese Fragen zu stellen und sie im Prozess einer Geschichte zu entwickeln. Alternative Wege des Denkens und Erkennens darzustellen, die sich aus alternativen Formen des Lebens und Zusammenlebens automatisch ergeben. Menschen handeln, denken und fühlen stets aus dem Zusammenhang ihrer Erfahrungen heraus. Handlungen, Aussagen und Gefühle entstehen immer vor dem Hintergrund von Lebenserfahrungen (an dieser Stelle sei auf die FIGUR-GRUND-Wahrnehmung aus der Gestaltpädagogik und der Gestalttherapie verwiesen). Hierbei macht es keinen Sinn zwischen guten und schlechten Erfahrungen zu unterscheiden. Denn Fehler zu erkennen und einzugestehen, alternative Lebensweisen kennen zu lernen und zu akzeptieren, sowie eigene Lebenskonzepte daraus zu entwickeln und immer wieder zu überprüfen, ist Ziel unseres Lebens als soziale Wesen.

Trauen sie sich auf dieser Gemeinsamkeit aufzubauen und mit ihrem Kind gemeinsam ein Stück Welt zu erobern. Erst in der Auseinandersetzung (im Dialog) können sich Themen entfalten. Ganz ähnlich wie die vielfältigen Blumen einer Wiesenlandschaft. Die Farbe und Form der Blätter mag sehr unterschiedlich sein, aber jeder, der sie genau ansieht, wird die Grundform der Blume und die dahinter liegende Schönheit und Einfachheit erkennen (Wurzeln, Stängel, Blätter, Blüte) aus der sich Vielfältigkeit und Komplexität entwickeln (Artenvielfalt). Die Vielfalt einer bunten Blumenwiese bietet uns genügend Auswahlmöglichkeiten, um Blumen, als solche, schätzen zu lernen.

In diesem Sinne gibt es kein Falsch, allerdings auch kein letztgültiges Richtig, solange wir uns im Prozess des Lebens befinden, denn: Alles fließt. Gerade beim Zusammenleben und in der Erziehung.

So möchte ich abschließend noch Paul Watzlawik zitieren:

"Wer nur einen Hammer als Werkzeug kennt, sieht in jedem Problem einen Nagel."

Und das ist doch wirklich das Letzte was wir wollen, oder?

Geschrieben von Martin Kern, Mai - Oktober 2012

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